Toilettenguide für New York

Dieser Text war von Else Buschheuer am 10.9.2001 für eine US-Zeitschrift in New York verfaßt worden. Wegen der Terroranschläge am Tag darauf wurde er dann nicht mehr gedruckt und die eine fehlende Zahl war nun hinfällig geworden. Sie veröffentlichte ihn aber noch auf ihrer Homepage

Gefunden:
einen Text, den ich am 10.9.01 für den AUFBAU fertiggestellt habe (ich wollte am Dienstag nur noch nachschlagen, wie hoch das Klo „Windows of the World“ gelegen ist:

New York – die Stadt, in der man nie mal müssen darf. Müssen darf schon, aber nie gehen kann. Also auch nicht müssen sollte. Jedenfalls nicht am falschen Fleck. Im hektischen Manhattan ein Klo zur rechten Zeit zu finden – das gleicht der Suche nach dem Bernsteinzimmer. Die Entdeckung einer öffentlichen Toilette, für deren Benutzung man nicht erst etwas konsumiert haben muß, ist fast ebenso müßig wie das Warten auf Godot.

Es gibt viele Bücher über diese Stadt: für stinknormale Touristen, für alternative Touristen, für Familien, für Literaturfreunde, für Kinofans, für Behinderte, für alleinreisende Frauen, für lesbische Frauen etc. pp. Nur ein Führer fehlte noch, und der ist jetzt da und heißt verheißungsvoll: Where to go.

Auf den ersten Blick wirkt das Büchlein, welches uns in Zukunft kompetent Erleichterung verschaffen will, wie ein zahnärztliches Periodikum, eine Broschüre. Einband weich, Schrift dunkelblau auf hellblau. Auf den zweiten Blick sieht man vorn einen suchenden Mann und eine freudig auf etwas zeigende Frau, hinten das Objekt der Begierde: eine Toilette, alles altertümlich illustriert, was mir leider das Gefühl vermittelt, eine uralte Ausgabe erwischt zu haben.

Sieben Dollar, der Preis ist ein Schnäppchen, denn das sind zwei – kleine- Frappuccinos im Starbucks, die man mitunter nur zu sich nimmt, um ein Customer zu sein („Restrooms for Customers only“) und die Berechtigung zu erwerben, in die saalgroße Unisex-Toilette „gebuzzert“ zu werden (die Bedienung drückt einen Knopf unter der Theke, das Sesam-öffne-dich für Menschen mit Blasendruck). Auch bei McDonalds wird inzwischen weitgehend „gebuzzert“, auch da muß man kaufen, um „loszuwerden“. Ein Tauschgeschäft mit Nebenwirkung: Um so schneller muß man wieder.

Aber wir wollen ja umsonst aufs Klo, bzw. nicht umsonst, sondern kostenlos. Oder, wie der Sachse hinterher sagt: „Es kam nüscht.“ Hilfe verspricht Vicky Roveres Kloführer, handlich genug fürs Handgepäck. Aber ist er übersichtlich genug für mich, die Testperson?

Zur Orientierung werden eingangs vier Toilettenkarten vorgelegt:

Downtown sind zwei Restroom-Schwerpunkte zu erkennen: am West Broadway zwischen Spring und Houston Street. Und in der Worth Street zwischen Centre und Baxter.

In Midtown scheint es, obwohl mir das nie so vorkam, nur so von Toiletten zu wimmeln. Vor allem in der Fifth Avenue kann man sich, das zeigt die Karte deutlich, praktisch von der 50. bis zur 59. Straße hochpinkeln (35 Toiletten), alle fünf Meter eine komplizierte Nummer (V 79, A20, E 42) welche hoffentlich weiter hinten zügig erklärt wird, denn ich nehme diesen Kloführer ja zur Hand, wenn ich in Not bin.

In Uptown dagegen herrrscht Pinkelnotstand, mit Ausnahme der Museen (Metropolitan, Guggenheim). Westlich vom Centralpark sollten blasenschwache Zeitgenossen sich vornehmlich auf Spaziergänge auf Broadway und Amsterdam zwischen 66. und 68. Straße beschränken (I 13-15, A21, V95, H 142).

Oberhalb der 127. Straße (Harlem, Washonton Heights) dasselbe Desaster. Kaum öffentliche Klos, umso wichtiger die wenigen hier aufgeführten.

Anschließend schlüsselt der Toilettenguide die Buchstaben nach Sachgebieten auf: A steht für Atriums and Einkaufszentren, B für Buchhandlungen, C für Gerichtsgebäude, D für Restaurants und so weiter. Es folgt die Auflistung aller Nummern, darunter bienenfleißig zusammengetragenes New Yorker Toilettenwissen samt Adresse, Tipps und Tricks (allen Zuträgern und Testern wird vorne gesondert gedankt).

Was aber, wenn’s ernst wird? Nehmen wir zum Beispiel mal an, ich ginge die Houston Street Richtung Osten und müßte Höhe Ludlow plötzlich ganz dringend für kleine Aufbau-Praktikantinnen. Was sagt mein Toiletten-Guide? Auf der Karte sehe ich nur eine Möglichkeit: D5. Nun schlage ich rasch in der alphabetisch geordneten Codeliste nach: D5… das ist „Katz’s Delicatessen“, der Laden, den Meg Ryan in „Harry und Sally“ unsterblich gestöhnt hat. Folgendes ist zu tun: Reingehen, sich vom Einlasser einen Beleg geben lassen, dann nach links an vielen Promi-Fotos vorbei zur Toilette. Wichtig: Beim Rausgehen den leeren Beleg wieder abgeben, dann gibt’s keine Probleme. Wunderbar! Klappt!

Auch weitere Tests besteht der Führer: alle Filialen der Buchhandlungs-Kette Barnes und Nobles sind hervorragend geeignet (wenn man gut im Pictogramm-Lesen ist). Ins Word Trade Center (dem ersten Turm) kann man zwar kostenlos hinauf fahren (Windows of the world), sollte aber den Dresscode einhalten, sonst kann man das Klo in luftiger Höhe von … Metern vergessen. Und in Hotelsempfielt es sich, mit der Nonchalance eines Weltbürgers aufzutreten (oder wenigstens mit Hilfe unseres Büchleins in der Lobby gleich die richtige Richtung einzuschlagen).

Mein Favorit für Midtown tagsüber: Das japanische Nobelkaufhaus Takashimaya. Sollten Sie auf der Fifth Avenue zwischen 54. und 55. Straße mal müssen, dann entscheiden Sie sich unter den vielen Möglichkeiten dafür. Dort befindet meine Lieblingstoilette, die ich übrigens schon lange vor Vicki Rovere entdeckt habe: Mit dem Luft ins Untergeschoß C1. dann rechts runter. Eine wahrhaft königliche geräumige helle saubere moderne schicke Toilette, auf der man gerne verweilt.

Wo man nicht inbedingt verweilen sollte: Die öffentlichen Toiletten im Terminal der Staten Island Ferry (X 1) sind, da hat der Toilettenguide ganz recht, in einem beklagenswerten Zustand und sollten nur im Notfall rekrutiert werden (Notfall = der Moment, in dem einem sowieso schon alles egal ist).

Zwischen den einzelnen Listen erzählt die Autorin kleine Schnurren und Historisches, was ich für verzichtbar halte (Lektüre fürs „Große Geschäft“?). Sinnvoller schon kleine unkonventionelle Ideen wie das Ansteuern von Kirchen, Parkhäusern. Tankstellen, Krankenhäusern, Beerdigungsinstituten, Polizeistationen (Argument: „Soll ich vielleicht auf die Straße machen?“) und Tierkliniken.

Übrigens: den AUFBAU suchen Sie umsonst im Toilettenguide. Sollten Sie dennoch mal auf dem Broadway Ecke 74. Straße in Klo-Not geraten – sorry! Unsere Toiletten sind nur für Abonnenten!

Else Buschheuer wurde übrigens von den Anschlägen sehr mitgenommen, obwohl sie in sicherer Entfernung war. Sie hat darüber ein Blog geführt, wurde jedoch von einigen Zynikern übel als „Heulsuse“ dafür angegangen.

Möchte ich hier nur ergänzen, damit sie niemand für oberflächlich hält wegen dieses noch lustigen Textes – sie konnte ja nicht ahnen, was am nächsten Tag passiert!

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